Von der Wiege bis zur Tafel: Wie Eltern und Lehrer unbewusst die Mathe-Kluft zwischen Jungen und Mädchen vertiefen (Studie)

Eine kürzlich durchgeführte Studie mit Daten von in Großbritannien geborenen Zwillingen hat aufgezeigt, dass Jungen dazu neigen, ihre Fähigkeiten in Mathematik höher einzuschätzen als Mädchen, selbst wenn ihre tatsächlichen Fähigkeiten identisch sind.

Die Forschung, die darauf abzielt, die Geschlechterlücke in der Selbsteinschätzung der Mathematikfähigkeiten (SAMA) zu verstehen, zeigt, dass diese Lücke etwa dreimal so groß ist wie die Lücke in der objektiven Mathematikleistung. Überraschenderweise erklären objektive Fähigkeiten nur 14-26% dieser Diskrepanz. Ein besonders interessantes Ergebnis der Studie ist die größere Geschlechterlücke in der SAMA bei verschiedengeschlechtlichen Zwillingen im Vergleich zu nicht verwandten Jungen und Mädchen. Dies deutet darauf hin, dass familiäre und soziale Einflüsse eine erhebliche Rolle bei der Formung der Selbstwahrnehmung spielen.

Die Studie identifiziert drei Hauptfaktoren, die diese Lücke beeinflussen könnten: die Rolle von Geschwisterbeziehungen, die Übertragung geschlechtsspezifischer Stereotypen von Erwachsenen auf Kinder und den komparativen Vorteil von Mädchen in verbalen Fähigkeiten im Vergleich zu Mathematik.

SAMA und Mathematiktestergebnisse wurden so standardisiert, dass der Mittelwert null und die Standardabweichung eins beträgt. Die Geschlechterlücke wird als der durchschnittliche Punktestand der Jungen minus dem durchschnittlichen Punktestand der Mädchen innerhalb jedes Landes berechnet. Eine positive Lücke deutet daher auf eine Geschlechterlücke zugunsten der Jungen hin. Die 45-Grad-Linie zeigt die theoretische Gleichheit der Geschlechterlücke in SAMA und in der Mathematikleistung an; in Ländern oberhalb der Linie ist die Geschlechterlücke in SAMA größer als die Geschlechterlücke in der Mathematikleistung. Hervorhebung (gelb) der Mathematikleistung deutscher Kinder durch uns.

Interessanterweise korreliert die Zuversicht von Jungen in ihre Mathematikfähigkeiten positiv mit der Zuversicht ihres männlichen Zwillings, ein Effekt, der bei Mädchen nicht zu beobachten ist. Dies unterstützt die Theorie, dass innerhalb von Familien bestimmte Rollen zugeschrieben werden, wobei der männliche Zwilling oft als die „Mathematikperson“ angesehen wird. Darüber hinaus tragen elterliche Bewertungen, die oft geschlechtsspezifische Stereotypen widerspiegeln, erheblich zur Geschlechterlücke in der SAMA bei. Eltern und Lehrer überschätzen systematisch die Mathematikfähigkeiten von Jungen und unterschätzen die von Mädchen, was 23% der Geschlechterlücke erklärt.

Die Studie schlägt vor, dass Interventionen zur Verringerung der Geschlechterlücke in der SAMA nicht nur die Kinder selbst, sondern auch Eltern und Lehrkräfte einbeziehen sollten. Ein Bewusstsein für unbewusste Vorurteile und die Förderung einer inklusiveren Haltung gegenüber der Fähigkeit von Mädchen in Mathematik könnte langfristig zur Verringerung dieser Lücke beitragen.

Die Forschung unterstreicht die Notwendigkeit, die Narrative zu ändern, die innerhalb von Familien und Bildungseinrichtungen entwickelt werden, um beiden Geschlechtern gerecht zu werden und gleiche Möglichkeiten in der Mathematik und darüber hinaus zu fördern.

Quelle: Adamecz, A., Jerrim, J., Pingault, J.-B., & Shure, N. (n.d.). Peers, Parents, and Self-Perceptions: The Gender Gap in Mathematics Self-Assessment. KRTK KTI and UCL Social Research Institute; UCL Social Research Institute; UCL Department of Clinical, Educational and Health Psychology and KCL Social, Genetic & Developmental Psychiatry Centre; UCL Social Research Institute and IZA.