Kinderfüße richtig messen – Ein Interview mit Kinderschuhexperte Dr. Kinz

Im Rahmen der Neuauflage seines Buches „Kinderfüße, Kinderschuhe, Kindersocken“, hatten wir die Gelegenheit, mit Dr. Wieland Kinz, einem führenden Experten vom österreichischen „Forschungsteam Kinderfüße-Kinderschuhe“, ein aufschlussreiches Interview zu führen und ihn vor Ort bei der Messung von Kinderfüßen zu begleiten.

Dr. Kinz, dessen Arbeit als Sportwissenschaftler an der Universität Salzburg begann und zur ersten deutschsprachigen Publikation zum Thema „Kinderfüße-Kinderschuhe“ führte, teilt in diesem Interview tiefe Einblicke in die oft unterschätzte Wichtigkeit der richtigen Schuhgröße für Kinder.

Mit der vierten Auflage seines Buches, die zahlreiche neue Erkenntnisse, Studien und Entwicklungen der Jahre zwischen 2005 und 2023 zusammenfasst, adressiert Dr. Kinz zentrale Fragen: Können zu kurze Kinderschuhe langfristige Fußschäden verursachen? Ist der oft empfohlene Spielraum von 12 mm in Kinderschuhen wirklich angebracht? Und warum wird den Socken nun eine derart bedeutende Rolle zugeschrieben, dass sie sogar Eingang in den Titel des Buches finden?

Im Gespräch mit Dr. Kinz entlarven wir gängige Irrtümer und Mythen rund um das Thema und erörtern, wie Eltern die Schuhgröße ihrer Kinder am besten bestimmen können.  

Zeigt her eure Füße, zeigt her eure Schuhe! Eltern sollten weniger auf modische Aspekte wert legen, sondern darauf, dass Schuhe innen ausreichend groß sind.

Das Wichtigste in Kürze

  • Fußmessung: Beide Füße sollten stehend gemessen werden, um die maximale Ausbreitung unter Belastung zu erfassen. Die Zehen sollten dabei natürlich ausgestreckt bleiben. Eine flache Hand auf den vorderen Teil des Fußes legen und sanft auf die Zehen drücken, um deren natürliche Lage zu gewährleisten.
  • Online-Kauf: Der Online-Kauf von Schuhen ist völlig akzeptabel. Wichtig ist, sich nicht auf die Schuhgröße zu verlassen, sondern gezielt nach der Innenlänge zu fragen und diese beim Schuhhändler anzugeben.
  • Fußmessen als Event: Kinder sollten von Klein auf an das Messen der Füße gewöhnt werden. Einmal an die Messprozedur gewöhnt, ist der Schuhkauf später viel leichter. Warum nicht das vermeintlich langweilige Messen als spaßiges Event inszenieren? Stellen Sie Ihr Kind auf ein Stück Karton. Umreißen Sie dann die Füße mit einem Stift. Danach kann der Umriss gemeinsam ausgemalt werden. Mit einem lustigen Gesicht verzieren.
  • Daumenprobe: Um zu überprüfen, ob Schuhe passen, sollten diese vorne halbwegs weich sein. Eine flache Hand vorne auf den Schuh legen, um sicherzustellen, dass das Kind die Zehen nicht reflexartig einzieht.
  • Schuhgrößen sind nicht zuverlässig: Trotz der Normung von Schuhgrößen zeigen Untersuchungen, dass die tatsächliche Innenlänge der Schuhe oft nicht mit der angegebenen Größe übereinstimmt. Fast alle getesteten Schuhe waren zu kurz, unabhängig von Marke oder Preis.
  • Richtige Innenlänge ist entscheidend: Nur die korrekte Innenlänge garantiert ausreichend Bewegungsraum für die Füße, um Fehlstellungen und Fehlbildungen zu vermeiden. Empfohlener Platz im Schuh: Mindestens 12 mm, für neue Schuhe sogar 17 mm, um Wachstum zu berücksichtigen.
  • Eigenschaften eines guten Kinderschuhs: Passende Innenlänge, Flexibilität mit weicher und beweglicher Sohle, sowie atmungsaktive Materialien.
  • Problematik von Hausschuhen: Häufig aus schlechtem Material und unhygienisch, führen zu Fußschäden und sind eine Brutstätte für Bakterien. Normale Socken sind eine gute Alternative und fördern die Bewegungsfreiheit des Fußes.

Interview

Frage Blitzrechner.de: Schuhgrößen sind ja genormt und ganz eindeutig. Warum sollte ich mir als Eltern denn noch den Stress antun und nachmessen?

Antwort Dr. Kinz: Leider ist es ein weit verbreiteter Irrtum, dass Schuhgrößen genormt sind. Nach unseren Untersuchungen hatte nur ein ganz kleiner Teil der Schuhe die korrekte Innenlänge. Fast alle waren zu kurz. Dann haben wir uns die Frage gestellt, ob wohl Markenschuhe besser sind als No-Names, ob billige Schuhe schlechter sind als teure. Die Überraschung: Egal ob teuer oder billig oder Marke oder vom Discounter – wir konnten keinen Unterschied feststellen. Die Schuhe aller Hersteller waren auffällig zu kurz.

Wer Schuhe nur nach der Schuhgröße kauft, läuft immer Gefahr, dass die Schuhe eine komplett falsche Innenlänge haben. Und die ist letztendlich entscheidend. Denn nur sie garantiert, dass die Füße genug Bewegungsraum haben. Zu kurze Schuhe führen zu dauerhaften, nicht mehr heilbaren Fehlstellungen und Fehlbildungen der Füße.

Frage Blitzrechner.de: Wie kann das sein?

Antwort Dr. Kinz: Naja, es gibt halt keine Öffentlichkeit für die Thematik. Natürlich kennen Schuhfirmen diese Problematik seit Jahrzehnten. Aber es ist halt aufwändig und somit teuer Schuhe in exakten Größen zu produzieren.

Übrigens: Eigenartigerweise gibt es bis jetzt noch keine Initiative, die Schuhgröße in Europa als verpflichtende Norm zu etablieren.

Buch „KINDERFÜßE, KINDERSCHUHE, KINDERSOCKEN“, Gebundene Ausgabe, 19 cm x 28 cm, Hochformat mit zahlreichen Abbildungen in Farbe, 60 Seiten, ISBN 978-3-00-005879-0, für € 16,90 beim Autor oder im Buchhandel bestellen. Rechts: Das von Dr. Kinz entwickelte Schuhinnenmessgerät.

Frage Blitzrechner.de: Wie viel Platz sollte in Schuhen denn überhaupt sein?

Antwort Dr. Kinz: Im Schuh sollten mindestens 12 mm Platz sein. Bei neuen Schuhen sogar 17 mm, um ein paar Monate eine Wachstumsreserve zu haben.

Frage Blitzrechner.de: Ist das nicht viel zu viel?

Antwort Dr. Kinz: Nein. Denn aus Untersuchungen wissen wir, dass die Füße von 3-6-jährigen Kindern etwa 1 mm pro Monat wachsen. So gesehen wären Schuhe mit 12 mm Spielraum schon nach einem Monat wieder zu kurz. Deshalb haben wir uns gefragt, welchen Maximal-Spielraum wir empfehlen können, damit die Schuhe ein paar Monate passen. 17 mm Spielraum können ohne weiteres als Maximal-Spielraum empfohlen werden.

Frage Blitzrechner.de: Wo kaufe ich am besten ein: im Schuhladen, weil es dort professionelle Hilfe gibt und gemessen werden kann, oder online?

Antwort Dr. Kinz: Wir haben verschiedene Untersuchungen gemacht im stationären Schuhhandel. Der Ausbildungsstand ist sehr unterschiedlich. Teilweise ist es ein Trauerspiel. Greifen Sie gerne auf die Hilfe zurück. Aber letztendlich sind die Eltern in der Pflicht, nochmal zu kontrollieren, ob alles passt.

Schuhe online zu kaufen kann eine sinnvolle Alternative sein. Gehen sie dazu am besten so vor: Messen sie die Länge der Füße. Auf den längsten Fuß addieren sie 17 mm hinzu. Wenn sie also 200 mm messen, dann benötigt Ihr Kind Schuhe mit einer Innenlänge von 217 mm. Konkret: Die Einlage muss also genau so lang sein.

Suchen Sie sich beim Online-Schuhhändler Ihres Vertrauens ein oder mehrere Modelle aus. Jetzt kommt der wichtige Punkt: Vertrauen Sie auf keinem Fall der angegebenen Schuhgröße. Nutzen Sie auch keine Schuhgrößentabelle. Stattdessen: Fordern Sie vom Online-Händler ein, dass er ihnen das gewünschte Modell in der besagten Innenlänge zuschickt. Sie erhalten dann einen Schuh, der mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit die richtige Länge hat.

Mit dem Schuhinnenmessgerät kann die korrekte Länge des Schuhs eindeutig festgestellt werden. So ist sichergestellt, dass genügend Platz im Schuh ist.

Kurz noch mit der Daumenprobe oder einer Innenmessung mit beispielsweise dem plus12 Innenmessgerät überprüfen, ob die Schuhe wirklich passen. Fertig! Das Beste: kein Hin- und herschicken von zahlreichen Schuhen.

Daumenprobe mit flacher Hand. So ist sichergestellt, dass der Fuß inklusive Zehen richtig im Schuh ausgestreckt ist. Deutlich zu sehen: Der Schuh ist viel zu kurz. Zudem ist die Sohle dieses Schuhs viel zu hart. Besser wäre ein Schuh mit weicher und flexibler Sohle.

Frage Blitzrechner.de: Wo finde ich denn die Innenlänge im Online-Shop?

Antwort Dr. Kinz: Meistens leider gar nicht. Schreiben Sie dem Händler einfach eine kurze Mail mit dem gewünschten Modell. Fordern Sie das ein. Die Macht liegt beim Schuhkäufer.

Und nochmal: Es haben ja alle etwas davon. Kinder müssen nicht zahllose Schuhe anprobieren. Die Eltern sparen sich die Schuhschlacht und die Rücksenderei. Und der Händler profitiert doch auch – Retouren sind für ihn aufwändig und teuer.

Frage blitzrechner.de: Was macht denn überhaupt einen guten Kinderschuh aus?

Antwort Dr. Kinz:

Zuerst einmal, Passform und Größe sind das A und O. Der Schuh sollte genügend Spielraum bieten, damit die Zehen sich ganz ungezwungen bewegen können – quasi wie auf Wolken laufen, ohne dass es irgendwo drückt oder kneift. Platz vorne ist wichtig, damit die Füße beim Laufen und Toben nicht vorne anstoßen.

Dann die Flexibilität: Je weicher und beweglicher ein Kinderschuh ist, desto besser. So können sich alle Fußmuskeln ohne Einschränkung bewegen.  

Atmungsaktives Material ist ebenfalls ein Muss. Kinderfüße sind kleine Kraftwerke und können ganz schön ins Schwitzen kommen. Materialien, die atmen, halten die Füße trocken und vermeiden das unangenehme Gefühl nasser Socken. Einen Methode wie Eltern das ganz einfach überprüfen können, finden Sie in meinem Buch im Kapitel „Kinderschuh-Tests“.

Zu guter Letzt, die Anpassungsfähigkeit. Kinder sind ja bekanntlich kleine Entdecker und Abenteurer, daher ist es wichtig, dass der Schuh mitmacht. Verstellbare Klettverschlüsse oder Schnürsenkel sind super, weil sie nicht nur für einen sicheren Halt sorgen, sondern auch das selbstständige An- und Ausziehen fördern können. 

Kurz gesagt, ein guter Kinderschuh unterstützt nicht nur die gesunde Entwicklung der Kinderfüße, sondern macht das Laufen, Springen und Spielen zum Kinderspiel. Immer ein Auge darauf zu haben, dass der Schuh in Sachen Größe, Flexibilität, Material und Anpassung passt, ist der Schlüssel für glückliche, gesunde Kinderfüße.

Die Empfindlichkeit der Nerven in Kinderfüßen ist noch nicht voll entwickelt, was dazu führt, dass Kinder oft nicht richtig einschätzen können, ob ein Schuh passt oder zu klein ist. Ein typisches Beispiel hierfür ist, wenn ein Schuh deutlich zu eng sitzt, das Kind dies aber nicht bemerkt. Bei der Überprüfung der Passform greifen viele Eltern zur Daumenprobe: Sie drücken mit dem Daumen an der Schuhspitze gegen die Zehen des Kindes. Durch diesen Druck ziehen Kinder ihre Zehen instinktiv zurück, was den Eindruck erweckt, als wäre noch reichlich Platz im Schuh vorhanden. Dies führt jedoch zu einem Trugschluss, da der Schuh tatsächlich zu klein ist. Diese Methode kann also irreführend sein und dazu beitragen, dass die Fußgesundheit des Kindes unbewusst vernachlässigt wird.
Die Empfindlichkeit der Nerven in Kinderfüßen ist noch nicht voll entwickelt, was dazu führt, dass Kinder oft nicht richtig einschätzen können, ob ein Schuh passt oder zu klein ist. Ein typisches Beispiel hierfür ist, wenn ein Schuh deutlich zu eng sitzt, das Kind dies aber nicht bemerkt. Bei der Überprüfung der Passform greifen viele Eltern zur Daumenprobe: Sie drücken mit dem Daumen an der Schuhspitze gegen die Zehen des Kindes. Durch diesen Druck ziehen Kinder ihre Zehen instinktiv zurück, was den Eindruck erweckt, als wäre noch reichlich Platz im Schuh vorhanden. Dies führt jedoch zu einem Trugschluss, da der Schuh tatsächlich zu klein ist. Diese Methode kann also irreführend sein. Besser ist es, eine Hand flach auf den vorderen Teil des Schuhs zu legen, um sicherzustellen, dass der Fuß voll ausgestreckt im Schuh liegt.

Frage Blitzrechner.de: Was mache ich denn am besten im Winter? Barfußlaufen und dünne Schuhe sind hier ja keine Option.

Antwort Dr. Kinz: Naja, es gibt mittlerweile spezielle Winterstiefel in Barfußform. Sie sind flexibler als harte Winterstiefel und engen den Kinderfuß so weniger ein.

Und dann gibt es natürlich auch noch die Möglichkeit, einfach einen Ausgleich zu schaffen. Wenn Sie mal einen Tagesablauf betrachten, dann werden die Stiefel maximal 2 – 3 Stunden getragen. Bauen Sie Kompensationszeit ein. Lassen Sie Ihr Kind in der restlichen Zeit des Tages idealerweise gar keine Schuhe tragen. Barfuß, wenn Sie eine Fußbodenheizung haben, oder in Socken statt Hausschuhen. So können Sie kompensieren und die Füße sich frei entfalten.

Frage Blitzrechner.de: Welche Hausschuhe eignen sich denn am besten?

Antwort Dr. Kinz: Hausschuhe sind ein riesiges Problem. Erstens sind sie häufig aus den falschen Materialien. Zweitens sind sie unhygienisch. In puncto Material: Häufig sind Hausschuhe aus dem billigstem Material überhaupt hergestellt: nicht atmungsaktiven Kunststoffen. Sie sind hart, unflexibel und weisen leider häufig auch noch eine harte Spitze im Vorderteil auf. Dadurch kann sich der Fuß nicht frei bewegen und wird in eine Zwangshaltung gepresst. Das führt langfristig zu Schäden am Fuß.

Lustig anzusehen sind sie und bequem mögen sie auch wirken. Aber hier fühlen sich vor allem Bakterien wohl. Besser sind laut Dr. Kinz ganz normale Socken.

Zweitens sind sie unhygienisch. Schauen Sie, in der Kita werden Hausschuhe über den ganzen Tag getragen, viele Stunden. Wir haben dazu ausführliche Untersuchungen vorgenommen und in Kindergärten stündlich Temperatur und Feuchtigkeit gemessen sowie Abstriche gemacht. Spätestens mittags waren die Schuhe zu feucht. Eine Brutstätte für Bakterien. Mal ehrlich: Wer wäscht oder desinfiziert schon Hausschuhe? Hausschuhe sind daher problematisch. Vielleicht sogar das überflüssigste Schuhwerk überhaupt.

Frage Blitzrechner.de: Welche sinnvollen Alternativen gibt es?

Antwort Dr. Kinz: Stoppersocken sind besser als Schuhe, weil sie atmen lassen und Freiraum gewähren. Allerdings sind die Stopperelemente an sich häufig problematisch, da sie entweder gesundheitsschädigende Inhaltsstoffe haben oder schwer abbaubar sind. Das will man seinen Kindern also nicht antun.

Warum nicht einfach normale Socken anziehen? Vielleicht hilft hier auch ein kleiner Perspektivwechsel: Kinder bewegen sich häufig viel zu wenig. Über den Boden rutschen und schlittern macht tatsächlich Spaß. Am besten welche, die vorne gerade geschnitten sind wie unsere Socken und den Zehen genug Freiraum bieten.

Herr Dr. Kinz, vielen Dank für das Gespräch!